
Karsten Wolf zu Games und Bildung
19. August 2025
ZeMKI-Mitglied Prof. Dr. Karsten D. Wolf ist Experte für digitale Lernkulturen und erforscht, wie Erklärvideos, soziale Medien und Digital Gaming Bildungsprozesse beeinflussen. Ein besonderer Fokus liegt auf der Gestaltung von Serious Games und der Analyse informeller Lernumgebungen. Seine Expertise bringt er regelmäßig in öffentliche Debatten zur Rolle digitaler Medien im Lernen ein. Anlässlich der Gamescom-Messe in Köln erklärt Karsten Wolf, wie sich Videospiele und game-based learning in schulische und außerschulische Bildungskontexte eingliedern lassen.
Wie lassen sich Games und Game-based Learning didaktisch sinnvoll in schulische und außerschulische Bildungskontexte integrieren?
Vor dem Hintergrund der hohen Popularität von Computerspielen insbesondere (aber nicht nur) bei Jugendlichen (JIM Studie 2024 zur Medienbeschäftigung in der Freizeit: 73% täglich/mehrmals die Woche; männliche Jugendliche: 87%, weibliche Jugendliche 58%) stellt sich die Frage, welches Potenzial diese für Schule und Weiterbildungskontexte bieten, und wie diese didaktisch sinnvoll und wirksam einzubinden sind. Häufig werden Spielelemente wie Leaderboards oder Trophäen (Badges) in klassische Lern- und Übungssoftware integriert, welche aber die besonderen didaktischen Potenziale des spielbasierten Lernens nicht nutzen. Häufig bleibt der gewünschte motivationale Effekt aus – die Schülerinnen und Schüler erkennen sehr schnell, dass Sie hier über „Digital Nudging“ (subtile Beeinflussung) und weitere sogenannte „Dark Patterns“ ähnlich wie auf Social Media Plattformen eigentlich nur genötigt werden sollen, etwas zu machen, was anscheinend so langweilig ist, dass man dazu „genötigt“ werden soll.
Ganz anders verhält es sich dabei bei den drei weiteren Möglichkeiten: (1) Serious Games – „echte“ digitale Spiele, welche eine Botschaft haben (auf der Gamescom unter „Games for Change“ auch eine eigene Award-Kategorie!). Dabei handelt es sich um zumeist kleine Produktionen mit geringem Budget. Ein erfolgreicher Serious Game Developer ist Charles Games aus Prag (https://charlesgames.net/); (2) Games for Learning – digitale Spiele, welche als dedizierte Lernspiele konzipiert werden. Hier wird der Lernprozess zu einem Spiel wie z.B. das Lernen der Bruchrechnung in „Slice Fractions“ von Ululab aus Montreal (https://ululab.com/); (3) Game Based Learning with Off-The-Shelve-Games – der Einsatz von kommerziellen Spielen wie z.B. Minecraft (Mathematik), Civilisation (Soziologie und Geschichte), SIMs (soziale Skills), Assassin’s Creed (Geschichte) oder PC Building Simulator (Technik). Entscheidend für den pädagogischen Lernerfolg aller Formate ist allerdings die didaktische Einbindung der Spiele in den Unterricht oder die Weiterbildung, um tiefgreifende Lernstrategien im Sinne einer bedeutsamen Auseinandersetzung mit den zu lernenden Inhalten und Themen zu fördern.
Welche Kompetenzen fördern aktuelle Lernspiele, die auf der Gamescom 2025 präsentiert werden – und wie können sie pädagogisch bewertet werden?
Wie immer sind Serious Games und Games for Learning eher im Indie Arena Booth (IAB) zu finden, dabei ist sicherlich die Sonderfläche ‚Games for Democracy‘ besonders interessant für alle, die sich für politische Bildung mit digitalen Spielen interessieren. Ein besonderes Highlight ist das kürzlich veröffentliche Spiel „The Darkest Files“ vom Berliner Entwickler Paintbucket Games, in dem man als Staatsanwältin Esther Katz versucht, Nazi-Verbrecher vor Gericht zu bringen (Trailer: https://www.youtube.com/watch?v=UXxAtalJAJA). Ein narrativen Einblick auf Migrationsbewegungen verspricht das Survival Game „Take Us North“ des New Yorker Entwicklerteams Anima Interactive über die US-Mexikanische Grenze (https://www.kickstarter.com/projects/takeusnorth/take-us-north). Ebenfalls aus Berlin stammt das Spiel „The Berlin Department“ von BTF Games, in dem 120 Jahre Geschichte in Berlin in ein und derselben Wohnung erlebbar gemacht werden (https://btf.de/en/apartment/). Im Spiel ESA Shield des Game Labs der Hochschule Darmstadt lernt man harte Fakten über echte Bedrohungen aus dem Weltall und wie die ESA uns davor schützt (bzw. der oder die Spieler:in; https://indiearenabooth.de/gamescom2025/games/show/19024). Insgesamt sind hier viele interessante Spiele zu erwarten, die nur auf eine gute didaktische Einbindung durch Lehrer:innen warten.
Bei den großen Publishern lohnt es sicherlich, sich geeignete Off-The-Shelve-Games anzuschauen. Neben den verschiedenen eher realistischen Simulationen des Paderborner Publishers Aerosoft, welche neben Simulationen von Fernbussen und Feuerwehr auch einen Simulator für Militär-Logistik präsentieren, wird es bei Krafton interessant sein, sich den „Lebenssimulator“ inZOI genauer anzuschauen, wie sich dieser in Vergleich zu den SIMs von Electronic Arts entwickelt. Ubisoft präsentiert mit Anno 117: Pax Romana eine historische Städtebau-Simulation zum Höhepunkt des römischen Reiches, mit dem man als Statthalter von Germanien die Geschichte der Römer in Deutschland anschaulich nachspielen kann – natürlich mit hohen künstlerisch-spielerischen Freiheiten. Das Spiel Titan Quest II des deutschen Developers Grimlore Games ist dagegen ein im Kontext griechischer Mythologien mehr auf heroische Kampfsituationen als auf historische Fakten ausgelegtes Action Roleplaying Game.
Ob Serious Games, Games for Learning oder Off-The-Shelve-Games – zentral für deren pädagogischen Bewertung ist ihre Passung und Einbindung in didaktisch geplante Bildungsangebote. Gelingt dies, sind sowohl positive kognitive, emotionale als auch motivationale Effekte zu erzielen, da sie narrative mit spielerischen, interaktiven und visuellen Elementen verbinden wie kein anderes Medium.
Inwieweit verändern Let’s Plays, Twitch-Streams und spielerisches Lernen die Bildungsmedienlandschaft langfristig?
Während die Social Media Nutzung von Jugendlichen auf Instagram und TikTok mittlerweile auch in den Erziehungs- und Bildungswissenschaften auch als Lern- und Bildungsraum verstanden und untersucht wird (insbesondere Erklärvideos und Tutorials auf YouTube und TikTok), so wird die Mediennutzung insbesondere von männlichen Jugendlichen rund um die ursprünglich sehr Game-orientierten Plattformen Discord und Twitch deutlich weniger wahrgenommen und untersucht, obwohl laut JIM-Studie 2024 diese Plattformen bei der Nutzung durch 12-19 jährige Jungen nach WhatsApp (96%), Instagram (56%), TikTok (49%) und Snapchat (47%) auf Platz 5 (Discord, 30%) sowie Platz 6 (Twitch, 21%) liegen – also ähnlich wie X (18%), Facebook (19%) und vor BeReal (14%), Signal (12%) oder Telegram (12%). Dabei vermitteln die Streamer auf Twitch eben nicht nur Informationen über die neuesten Spiele, sondern bieten sich gerade durch ihre hoch interaktiven und auf Echtzeit-Kommunikation optimierten Funktionalitäten für die politische Kommunikation an. Gerade über das Thema „Digitale Spiele“ und die interaktiven Formate und Diskussionen baut sich hier eine Authentizität der Streamer und damit ein Vertrauen zu ihnen auf, welches dann – siehe US-amerikanischer Wahlkampf – ganze Wählergruppen für einen Kandidaten mobilisieren kann. Hier zeigt sich also deutlich, wie Medienrepertoires und Handlungspraxen rund UM das Spielen eine tiefergehende Bedeutung für Bildungsprozesse erzeugen.
Gleichzeitig zeigt das hohe Interesse von Jugendlichen an Spielen (Achtung: auch 58% der weiblichen Jugendlichen spielt täglich/mehrmals die Woche!) ein Interesse an den Schlüsselelementen von Spielen: Selbstwirksamkeit, Kompetenzerleben und Soziale Eingebundenheit. Dies sind von Edward Deci und Richard Ryan in ihrer „Selbstbestimmungstheorie der Motivation“ als grundlegende psychologische Bedürfnisse postuliert worden. Insofern stellt sich nicht die Frage, ob spielerisches Lernen in die Bildungsmedienlandschaft integriert werden sollte, sondern vielmehr, was Unterricht und Fortbildung von Spielen lernen kann, und wie Lehrende besser ausgebildet werden können, um diese Potenziale in ihren didaktischen Planungen besser zu nutzen – auch unter Einsatz von digitalen Spielen.