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Wo ist das „Zentrum“ und wo die „Peripherie“ in der Filmgeschichte? Diese Frage soll den folgenden Beitrag über den Filmkritiker Paulo Emílio Salles Gomes (1916-1977) und sein intellektuelles Netzwerk aus einer postkolonialen Perspektive und mit einem interrelationalen Zugang zur Geschichte leiten (Said, 1994; Stam, 1997; Werner & Zimmermann, 2002).

Was bedeutet ein “ interrelationeller Ansatz „? In erster Linie bedeutet er, die Zirkulationsprozesse und die dahinter stehenden transnationalen intellektuellen Netzwerke – beides von zentraler Bedeutung für die Förderung des kulturellen und technischen Austauschs – stärker in den Blick zu nehmen als eine nationalzentrierte Perspektive innerhalb fester Staatsgrenzen, die letztlich alte ökonomische Vorurteile wie „Zentrum“ und „Peripherie“ reproduziert (Gregor & Patalas, 1962; Idem, 1973; Gregor, 1978; Sadoul, 1982). Es liegt in der Natur der Sache, dass Filmgeschichte vernetzt und global ist. Ein gutes Beispiel für eine vernetzte Karriere, die alte national(istisch)e Sichtweisen in Frage stellt, ist der Filmemacher Alberto Cavalcanti (1897-1982). Er war ein Avantgarde-Künstler der 1920er und 1930er Jahre, der eine internationale Karriere machte und ein weitreichendes Netzwerk von Kontakten in seinem Bereich aufbaute. Cavalcanti wurde in Rio de Janeiro geboren und zog mit 18 Jahren nach Paris, um Architektur zu studieren (Sadoul, 1982: 411). Der Filmhistoriker Ian Aitken schreibt über die wachsende intellektuelle Filmkultur in Frankreich in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts:

In 1920 [Ricciotto] Canudo founded the journal Le Gazette de sept arts, in which he published essays by painters such as Fernand Leger, writers such as Jean Cocteau, and film-makers such as Jean Epstein. Canudo also founded what may have been the world’s first film club in 1920: the Club des amis du septieme art. The Club (…) held informal gatherings attended by writers and film-makers such as Alberto Cavalcanti, Marcel L’Herbier, Epstein and Cocteau, and played an important role within the film culture of the period (Aitken, 2001: 75).

Über den Autor

Ricardo Borrmann
Ricardo Borrmann studierte Sozialwissenschaften an der Universidade Federal do Rio de Janeiro (UFRJ) und machte seinen Master in Politik und Geschichte an der Universidade Federal Fluminense (UFF), beide in Rio de Janeiro, Brasilien. Im Jahr 2018 war er Visiting Research Fellow am ZeMKI, Zentrum für Medien-, Kommunikations- und Informationsforschung, Universität Bremen. Zwischen 2012 und 2017 promovierte er mit einem Stipendium des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD) in lateinamerikanischer Kulturgeschichte an der Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU München). In seiner Dissertation (2017) untersuchte er die Rezeption der Ideen Rudolf von Jherings und Ernst Haeckels in der brasilianischen Jurisprudenz des 19. Jahrhunderts und konzentrierte sich dabei auf die Intellektuellen Tobias Barreto de Menezes und Sílvio Romero. In seinem Postdoc-Forschungsprojekt „Filmgeschichte, Lateinamerika und transatlantische Wissenszirkulation: Das internationale Netzwerk von Paulo Emílio Salles Gomes (1935-1977)“ untersucht Ricardo Borrmann den brasilianischen Filmkritiker Paulo Emílio Salles Gomes (1916-1977), Gründer der „Cinemateca Brasilieira“ und Vater der akademischen Filmwissenschaft in Brasilien. Ziel der Forschung ist es, das internationale und lateinamerikanische intellektuelle Netzwerk von Salles Gomes zu rekonstruieren. Das Projekt ist am Lehrstuhl für Lateinamerikanische Geschichte (AG Geschichte Lateinamerikas) im Fachbereich Geschichte (FB 8) der Universität Bremen angesiedelt. Es ist außerdem dem transdisziplinären Forschungslabor „Audio-visuelle Medien“ angegliedert.