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Große Narrative, die den Zustand der Gesellschaft beschreiben, neigen dazu, uns für Transformationsprozesse zu sensibilisieren, die das Potenzial haben, zu einer grundlegend anderen Wahrnehmung der sozialen Welt zu führen. Viele dieser Erzählungen, die wir heute hören, handeln von Daten oder sogar von Big Data. Hier finden wir Vorstellungen von Big Data als „eine Revolution, die unsere Art zu leben, zu arbeiten, zu denken und Denken verändern wird“ (Mayer-Schönberger und Cukier, 2013), Überlegungen zur ‚Datengesellschaft‘ (Süssenguth, 2015) und zur ‚datafizierten Gesellschaft‘ (Schäfer und Van Es, 2017). Dies zeigt, dass die Idee der Datafizierung nicht nur verwendet wird, um zu beschreiben, wie die Digitalisierung unsere Medienwelt verändert: In einem viel grundlegenderen Sinne ist es tatsächlich eine Geschichte darüber, wie digitale Daten dazu gekommen sind, die soziale Realität abzubilden und gleichzeitig zu beeinflussen (Van Dijck, 2014).

In diesem Beitrag wird die Datafizierung des Journalismus mit der Datafizierung der Gesellschaft in Beziehung gesetzt. Dies wird als nützlicher Schritt in unserer Theoriebildung über drei miteinander verbundene Elemente verstanden: Journalismus, Daten und soziale Wirklichkeit. Indem ich diese drei Elemente zusammenbringe, betrachte ich den Journalismus als ein ideales Beispiel, um zu verstehen, wie die Datafizierung einen sozialen Bereich formt und verändert und wie sie die öffentliche Kommunikation beeinflusst. Auf diese Weise können wir nicht nur den gegenwärtigen Wandel des Journalismus hin zu einer stärker datenbasierten, algorithmischen, metrikgesteuerten oder sogar automatisierten Praxis besser verstehen, sondern diesen Wandel auch als reflexiven Prozess begreifen: einen Prozess, der sowohl Teil einer sich verändernden Medienumgebung ist als auch die Antwort des Journalismus auf die Datafizierung der Gesellschaft darstellt – und diese auch befördert. Es ist daher wichtig zu erkennen, dass Journalismus nicht einfach mit Medientechnologien arbeitet, sondern in einem sich ständig verändernden Medienumfeld agiert. Wir könnten diesen reflexiven Prozess als Übergang zu einem datenbasierten Journalismus in einem datenbasierten Medienumfeld einer datenbasierten Gesellschaft bezeichnen.

Über die Autorin

Wiebke Loosen
Wiebke Loosen ist Senior Researcher für Journalismusforschung am Hans-Bredow-Institut für Medienforschung in Hamburg sowie Lehrbeauftragte an der Universität Hamburg. Ihre Arbeitsschwerpunkte sind der Wandel des Journalismus in einer sich verändernden Medienlandschaft, Theorien des Journalismus, Methodologie und konstruktivistische Erkenntnistheorie. Wiebke Loosens aktuelle Forschung umfasst Arbeiten über die sich verändernde Beziehung zwischen Journalismus und Publikum, datenbasierten Journalismus, die aufkommende „Start-up-Kultur“ im Journalismus sowie „journalismusähnliche“ Konstruktionen von Öffentlichkeit und Realität durch Algorithmen.
Realität.