
Christian Schwarzenegger zu digitalen Spielekulturen und Gesellschaftswandel
19. August 2025
ZeMKI-Mitglied Prof. Dr. Christian Schwarzenegger ist Experte für digitale Medienkulturen, insbesondere im Bereich Digital Gaming. Seine Forschung beleuchtet, wie Computerspiele als Kommunikations- und Erinnerungsräume fungieren und welche gesellschaftlichen Funktionen sie übernehmen. In der öffentlichen Debatte bringt er seine Expertise regelmäßig ein, etwa zu Fragen von Gaming und Erinnerungskultur, Identität sowie digitaler Öffentlichkeit. Anlässlich der Gamescom-Messe in Köln erläutert Christian Schwarzenegger, wieso digitale Spielekulturen als Antrieb des Gesellschaftswandels zu verstehen sind.
Digitale Spielekultur: Leitmedium, Lebenswelt, Kommunikationsraum
Digital Gaming ist längst ein zentraler wirtschaftlicher Faktor der Medienindustrien. Doch seine gesellschaftliche und alltagskulturelle Bedeutung wird im deutschsprachigen Raum noch immer unterschätzt. Dabei gestaltet die Gamingkultur den Wandel unserer Kommunikationskultur maßgeblich mit – nicht nur technologisch, sondern auch ästhetisch, emotional und sozial. Digitale Spiele sind für jüngere Generationen Leitmedium geworden und längst nicht nur für diese. Games und ihre kommunikativen Begleitphänomene – etwa Streams, Let’s Plays oder Community-Plattformen – sind selbstverständliche Bestandteile gegenwärtiger Lebenswelten.
Streamer:innen und Let’s Player wie Gronkh, Papaplatte oder HandOfBlood sind Medienfiguren mit enormer Reichweite (Fragen Sie sich gerne, warum Sie noch nicht von Ihnen gehört haben). Sie treten mit der gleichen Regelmäßigkeit und Selbstverständlichkeit in Erscheinung wie einstmals Nachrichtensprecher oder Showmaster. Sie tun dies jedoch in einem anderen Modus. Die Ansprache erfolgt näher, direkter, persönlicher aber auch subjektiver. Inhalte, die so vermittelt werden, gehen weit über Gaming-Inhalte hinaus. Neben Unterhaltung geht es auch um das Erleben von Gemeinschaft,, Zugehörigkeit und Abgrenzung, gemeinhin also um Orientierung und manchmal auch um Sinnstiftung. Diese digitalen Medienakteure bieten parasoziale Beziehungen, wirken als Vorbilder und auch wenn sie dafür oftmals keine hinreichende Qualifikation, Expertise oder Distanz mitbringen auch als Informationsquellen. Sie stehen für Authentizität und Nahbarkeit und schaffen in einer durchprofessionalisierten Medienwelt Räume für Resonanz.
Das Folgen für viele Alltagsbereiche, aber auch für das Intormationsverhalten bis hin zur politischen Kommunikation. Wo früher Popstars und Hollywoodgrößen Wahlkämpfe beeinflussten, sind es heute Streamer:innen und Gaming-Creator, die mediale Reichweite und Vertrauen bündeln. Im Bundestagswahlkampf 2025 waren erste Kooperationen mit Streamern zu beobachten. Zukünftig werden politische Akteure dorthin gehen (müssen), wo ihre Zielgruppen sich ohnehin aufhalten und wird die enorme Präsenz von Gaming bezogenen Creator und Influencer Perspektiven stärker berücksichtigt werden, um mit Gruppen in Dialog zu treten, die man mit traditionellen Mitteln der politischen Kommunikation und Information nur noch schwer erreicht. Politiker, die sich auf der Gamescom tummeln, sind ein Indikator für die steigende Relevanz eines solchen Segments. Dabei stellt sich nicht primär die Frage, wie faktenbasiert oder „fundiert“ die dort kursierenden Informationen sind – sondern vielmehr, wie diese neue Art von Inhalten Wirkung entfaltet: emotional, exemplarisch, lebensweltlich eingebettet. Das ist weder trivial noch automatisch problematisch, aber es folgt anderen Logiken als klassische journalistische Vermittlung.
Insgesamt erleben wir eine sich weiter ausdifferenzierende Medienlandschaft mit teils tiefen kulturellen Gräben. Die lange geführte Debatte um Fragmentierung oder Pluralisierung öffentlicher Kommunikation erhält durch die Gamingkultur neue Relevanz. Denn hier ist eine alternative Welt entstanden – mit eigenen Stars, eigenen Themen, eigenen Öffentlichkeiten. Diese Welt ist kein Randphänomen. Sie bietet neue Räume der Information, Unterhaltung und Vergemeinschaftung – und sie verlangt danach, als Teil gesellschaftlicher Kommunikation ernst genommen zu werden. Wissenschaft, Medienpolitik und politische Bildung stehen hier vor der Herausforderung, Gaming nicht länger nur als Freizeitvergnügen oder ökonomisches Segment zu begreifen, sondern als genuinen Bestandteil unserer digitalen Öffentlichkeit.
Gamingkultur als Motor für mediale und gesellschaftliche Transformation
Gaming-Communities sind seit den frühen Tagen der Digitalisierung zentrale Impulsgeber für technische und kulturelle Entwicklungen gewesen. Bereits in den 1980er- und 90er-Jahren war der Wunsch zu spielen ein wesentlicher Treiber für die Verbreitung von Computern in privaten Haushalten. Spiele motivierten dazu, sich Fremdsprachen anzueignen, sich technisches Wissen anzulesen oder selbst kreativ zu werden. Das reiche vom Bauen und Aufmotzen von Rechnern, bis zum Umgehen von Kopierschutzmechanismen oder dem Austausch von Spielständen. Aus diesen Praktiken sind nicht selten neue Anwendungen, Plattformen und Technologien hervorgegangen oder die so entstandenen Autodidakten konnten ihre Erfahrungen später in Computerberufen zu Kapital machen.
Heute sind spielerische Logiken tief in der Alltagskultur verankert. In Fitness-Apps, digitalen Lernplattformen oder Ernährungsprogrammen begegnen uns Mechanismen wie Fortschrittsanzeigen, Belohnungssysteme oder Rankings, die ursprünglich aus dem Gamingkontext stammend, inzwischen aber so etabliert sind, dass ihr Ursprung kaum noch auffällt. Das Spielerische verschwindet hinter seiner Selbstverständlichkeit Auch sprachlich hat sich das Spielerische eingeschrieben: Begriffe wie „Level“oder „Endgegner“ bis hin zu „NPC“ finden sich längst im Alltag jenseits des Spiels.
Digitale Spiele liefern dabei nicht nur Inhalte, sondern sind auch selbst Medium und Motor für tiefgreifende Wandlungsprozesse. Mit dem Bedürfnis, über Spiele zu sprechen und sich auszutauschen, entstanden neue Kommunikationsformen: von ersten Fanzines und Zeitschriften über spezialisierte Foren bis hin zu heutigen Livestreams, Let’s Plays und Game-Commentary-Formaten. Plattformen wie Twitch oder Discord sind dabei nicht nur Begleiterscheinungen, sondern mittlerweile zentrale Infrastrukturen digitaler Gemeinschaft und öffentlicher Kommunikation. Auch hier zeigt sich ein Wandel: von physischem Besitz hin zu digitalen Lizenzen, von Einzelkonsum zu kollektivem Erleben. Die Entwicklung der Gamingkultur erzählt die Geschichte medialer Transformation im Zeitraffer. Durch sie werden das Entstehen, die Durchsetzung und weite gesellschaftliche Verbreitung von medialen Phänomenen sichtbar und auch in manchen Fällen ihr Verschwinden in der Irrelevanz.
Bemerkenswert ist zudem, wie stark Gamingvokabular, Bildwelten und Symboliken in andere gesellschaftliche Bereiche übergehen. Wenn Elon Musk etwa Half-Life-T-Shirts trägt und so Spieleanleihen in politische Kommunikation einfließen, entstehen Subbotschaften, die nur für jene lesbar sind, die mit der entsprechenden Gaming Literacy ausgestattet sind. Für andere bleiben sie unsichtbar. So differenziert sich in derselben Kommunikation das Publikum in mehrere Lager aus, eine Entwicklung die zumindest langfristig mit darüber entscheidet, wer sich angesprochen fühlt und wer nicht.
Die digitale Gamingkultur ist damit weit mehr als nur Freizeitvergnügen. Sie ist ästhetisches Labor, soziale Plattform, Erfahrungsraum und Resonanzraum für ganze Generationen. Wer verstehen will, wie wir Medien künftig nutzen, wie wir kommunizieren, lernen, uns vernetzen oder auch politisch orientieren, findet im digitalen Spielen zahlreiche Beispiele für neue Formen der Teilhabe, der Informationsvermittlung und der kulturellen Produktion. Games sind nicht nur Zukunftsmedium – sie sind eine eigene kulturelle Gegenwart, die es ernst zu nehmen gilt.
Die Gamescom ist als feste Institution eine Fenster zur Zukunft und Gegenwart von Gaming und digitaler Kultur mit ritueller Wiederkehr
Die Gamescom ist selbst mehr als nur der Schauplatz an dem sich etwas ereignet. Sie ist selbst auch Akteur geworden und gewinnt einen besonderen gesellschaftlichen Stellenwert. Die Gamescom an sich und für sich, als ein rituell wiederkehrender sozialer, räumlicher, zeitlicher und funktionaler Rahmen von Kommunikation über Gaming und Gamingkultur ist mehr als nur eine Messe oder ein Konglomerat an Ausstellern. Sie bietet selbst das Versprechen, dass bei ihr etwas relevantes passiert, sich Zukunft (die unmittelbar bevorstehende kommender Konsolen oder Spielegenerationen) ereignet oder erahnen lässt: sie wird damit selbst zu einem gestaltenden Element dieser Zukunft. Dadurch verselbständigt sich auch die öffentliche Aufmerksamkeit und Erwartungshaltung: Die Gamescom ist ein Medienereignis, nicht nur wegen dem was dort zu sehen und zu erleben ist, sondern weil sie die Gamescom ist. Und weil die Gamescom Ereignis ist, wird auch das was dort zu sehen und zu erleben ist selbst zu einem wichtigen Element und Ereignis. So wird im Zuge von Aufmerksamkeitslogiken der digitalen Öffentlichkeit und medialer Berichterstattung das Ereignis zum Ereignis, weil es als Ereignis wahrgenommen wird. Das erklärt auch, warum seit Jahren nicht nur die großen Nachrichtenformate über sie berichten, sondern auch politische und sonstige Prominenz versucht gesehen und wahrgenommen zu werden.
Gaming ist aus der Nische und dem Nerdtum entwachsen und daher will man auch mit dabei sein. Die Gamescom ist als feste Institution eine Fenster zur Zukunft und Gegenwart von Gaming und digitaler Kultur mit ritueller Wiederkehr: das macht Berichterstattung erwartbar, kalkulierbar, planbar und auch überraschend wenn etwas passiert, was nicht vorgesehen war. Aus der Forschung zu vergleichbaren Ereignissen, wie etwa Computermessen wie der CeBIt, wissen wir: Das Versprechen die Zukunft angreifbar und erlebbar zu machen, das ist auch Stärker als manche enttäusche Hoffnung. Nicht jede prophezeite Zukunft setzt sich durch. Nicht jeder versprochene Titel erscheint. Nicht jede Innovation wirkt aufregend oder begeisternd. Was aber unabhängig von Enttäuschungen weiterlebt ist der selbst geschaffene Mythos, dass es sich lohnt, bei der Gamescom zu sein, wenn man die Zukunft des digitalen Spielens erleben will. Wenn die Zukunft Hof hält, dann will man das nicht verpassen und sei es nur, um sich trefflich darüber aufzuregen.